Ist die Fotografie heute vergleichbar mit früher?
Für die Reihe “Kurz erklärt” von Kwerfeldein hatte ich mich mit der Frage beschäftigt, in wie weit das Fotografieren heute noch vergleichbar mit dem Fotografieren von vor 50 oder 100 Jahren ist. Wenn Du diesen Beitrag hören möchtest, findest Du ihn hier.
Die Frage, die mich heute von Kwerfeldein erreichte war: Ist das Fotografieren heute noch vergleichbar mit dem von vor 50 oder 100 Jahren. Eine der kürzest möglichen Antworten darauf wäre: Ja, im Prinzip hat sich fast gar nichts geändert.
Nun, im Detail wird die ganze Sache natürlich komplexer. Logischerweise hat die Digitalisierung auch die Fotografie in gewisser Weise radikal geändert. Selbstverständlich gab es in den 70er oder 20er Jahren kein Instagram und keine multimediale Bilderflut. Wenn wir uns aber von dieser offensichtlichen Sache wegbewegen, verblassen die Unterschiede immer mehr.
Am augenfälligsten sind die Unterschiede auf der technischen Ebene. In den zwanziger Jahren war man sehr beschränkt, was die Filmauswahl anging, Im Prinzip hatte man die Wahl zwischen Rollfilm und Planfilm, bzw. Filmplatten. Der 35mm Film, so wie wir ihn heute kennen, steckte für die fotografische Anwendung noch in den Kinderschuhen. Leica hatte zwar zu dem Zeitpunkt schon Prototypen draußen, der Start dafür ging allerdings erst 1924 los. Auch war der Film brandgefährlich. Nitrocellulose war das Mittel der Wahl, erst Recht nachdem es nach dem ersten Weltkrieg im Übermaß zur Verfügung stand. Auch im Kino hatte das Auswirkungen. Kinoprojektoren mussten wassergekühlt werden, damit der Film nicht in Brand geriet. Filme waren niedrigempfindlich und schwarz-weiß. Was nicht zwingend heißen musste, dass die Welt auch nur in Schwarz-Weiß abgebildet wurde. Zwar gab es den ersten richtigen Vollfarbfilm ab den 30er Jahren, aber mit speziellen Tricks wie die Nutzung von Farbfiltern bei Aufnahme und Wiedergabe wurden auch schon in den Jahrzehnten zuvor farbige Aufnahmen angefertigt.
In den 70er Jahren sah die Welt dann deutlich anders aus. Die Filmformate und Kameras sind eher weiter kleiner geworden. Natürlich gab es noch immer Planfilmaufnahmen, gerade für große Kampagnen, aber Mittelformat und gerade auch Kleinbild haben sich durchgesetzt. Gerade das letztere stand sicherlich für den Journalismus wie kein anderes Medium zuvor. Wenn man an den Vietnam-Krieg denkt, denkt man eigentlich an die körnigen 35-mm-Tri-X Aufnahmen mitten aus dem Reisfeld live beim Angriff. Die Kameras waren klein, leicht und schnell überall mit hinzunehmen und damit zu fotografieren, die Anzahl der Newsmagazine explodierte förmlich. Hochempfindliche Farbfilme brauchten aber noch ihre Zeit. Analoge Dienstleistungen sämtlicher Art waren aber im Zigfachen häufiger anzutreffen als heute.
Was aber auch seit über 100 Jahren exakt gleich geblieben ist, ist die Diskussion über Stil, Geschmack und die vermeintliche Konkurrenz. So wurde 1893 schon bei der ersten Hamburger kunstphotographischen Ausstellung geklagt, dass das Publikum im Bildnis nur die sogenannte schöne Ähnlichkeit schätzt, was die Unterdrückung des Charakteristischen bedeuten würde.
Oder jeder kennt sicher die Fotoaufbauten zur Weihnachtszeit in den ganzen Malls. Schon in den zwanziger Jahren wurde geklagt „Durch die gemalten Hintergründe, welche die Umgebung freier Natur vorspiegeln soll, wird ein grober Unfug angerichtet. Es wird nichts weiter erreicht als ein meist sehr unglücklicher Diorameneffekt, bei dem die menschliche Figur die Rolle des plastischen Vordergrundes spielt. In keinem der Gesichter ist etwas, was das Interesse des objektiven Betrachters fesseln könnte. Und so wie diese Bilder sind auch heute noch die unzähligen Photographien, die das Publikum sich machen läßt, in den Bilderfabriken, in den Warenhäusern, die es dann schön findet und mit denen es anderen ein Geschenk zu machen glaubt.“
Die Kritik, die heute gerne Instagram-Bildern gegenüber geäußert wurde, schallte auch schon in den 20er Jahren aus Büchern: „Es kommt zunächst darauf an, alles Posieren beiseite zu tun und einfach die Äußerungen des Lebens zu beobachten. Das kann natürlich nicht bedeuten, daß alles kritiklos abphotographiert werden soll und daß ein Stück photographierter Natur, weil unbeeinflußt gegeben, auch schon wertvoll ist. Mit diesem Standpunkt würden wir auf das Niveau der unzähligen Handkamerabildchen herabsinken, in denen täglich eine Unsumme völlig bedeutungsloser Lebensmomente festgehalten wird. Es gilt, sehen und empfinden zu lernen, was wertvoll, wesentlich genug ist, photographiert zu werden.“
Diese Zitate stammen alle aus Fritz Loeschers die Bildnis-Photographie und zeigen ein weiteres Element, was sich in der Zeit nie geändert hat: Auch damals gab es eine Fülle von Lehrbüchern, mit denen auch der Laie die Fotografie erlernen konnte und es wurde als großer Wirtschaftszweig begriffen. In dem Taschenbuch der Praktischen Photographie von 1906 finden sich neben peniblen Anleitungen dutzende und aberdutzende Seiten Anzeigen für Kameras, Filme und weiteres Zubehör.
Übrigens: Auch von den Motiven her war die Fotografie schon immer zeitlos. Natürlich gab es immer wieder modische Strömungen, Konventionen und Stile, die besonders zu einer Zeit beliebt waren. Aber auch schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es Fotograf:innen, die zeitlos fotografiert haben — wie Julia Cameraon in Großbritannien und Nadar in Frankreich und es gab die Hobbyfotografen genau so wie die, die damit ihren Lebensunterhalt verdient haben.
Die Technik mag sich geändert haben und dadurch die Dinge, die damit immanent verwoben sind. Die Fotografie an sich hat sich im Laufe der Zeit allerdings erstaunlich wenig verändert.
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70er Jahre: Mittelformat, Kleinbildnegativ, Dia….
90er Jahre: Mittelformat, Kleinbildnegativ, Dia….
…dazwischen Fokomat, Durst, schwere Stative, heiße Leuchten viele Nächte in der Dunkelkammer, die immer weiter wuchs – wie auch der Anspruch an Qualität.
Der Fokus immer auf DAS einzelne Bild, mit dem Bewustsein des gestalterischen und chemischen Prozesses, der das Ergebnis – das Bild – bestimmt.
2021 Digitiale Bodys, Finger am Auslöser werden nicht mehr gezügelt, Belichtung, Gestaltung und der Prozess zum Papier (wenn er überhaupt noch dort hin findet) kann relativ gut kontrolliert werden, ohne sich “den Kopf” zu machen. Software übernimmt das Grobe. Die Dunkelkammer existiert im Mottenschrank und die analogen Bodys haben einen Weg in die Vitrine gefunden – hoffentlich.
ABER
Auf der Netzhaut findet noch immer das Gleiche statt – das Bild. Sobald es darüber hinaus auch “greifbar” wird, die Haptik hinzu kommt, wird das Erleben inspirativ, werden Gedanken angeregt, Realitäten (be)greifbar. Es hat mich schon an Dias gestört, dass nur eine vorhandene und gute Technik “das Bild” realisiert und wenn schon, dann noch nicht ein einzelnes Dia, dann ein ganzes Magazin.
Das einzelne Bild, das, worauf sich die Betrachtung konzentriert, “das Fenster” in eine fremde Seele, in eine Welt außerhalb der eigenen, dieses Bild ist immer einzigartig. Die Masse der Milliarden Fotos, die heute durch Internet, Smartphone, digitale Prozesse, Medien und Presse erzeugt und geboten werden, sind keine Fenster zur Inspiration. Normen der Gestatung für Portrait, Landschaft, Werbung ruinieren die Kreativität des Sehenden, des “Photographen” und damit auch das Einzigartige, was jedem Ob- und Subjekt innewohnt.
Fotografen sind immer angehalten das Sehen zu bewahren und das Gesehene zu Bild zu bringen, ob analog oder digital. Am Ende entscheidet der Betrachter des einzelnen Bildes, ob es ihm etwas vermittelt, er etwas Neues entdeckt, ihm daran etwas einzigartig oder bedeutungsvoll ist. Daher – ich bilde mir ein, dass sich DAS nicht verändert hat und nicht verändern wird, doch muß man zunehmend darauf hinweisen, dass Betrachtung Zeit erfordert.
H.Schmidtke