Mastodon – wenn Anspruch und Realität zu weit auseinanderklaffen
Nein, so viele ich auch ausprobiert habe — den perfekten Social Media Anbieter gibt es nicht. Manche sind aktiv bösartig (X), andere passiv — sei es durch eine Schwemme von AI Bots (Facebook) oder dem aktiven Drosseln von Accounts, um die Nutzer zum Bezahlen von Werbung zu erpressen (Facebook und Instagram).
Bei kaum einem sozialen Netzwerk klafft aber Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie Mastodon. Big Corporate ist böse und nur ein dezentralisiertes Netzwerk kann wirklich sicher, gerecht und offen sein — so zumindest die Sichtweise des Fediverse. Und es wird sich immer gewundert, ja oft auch geschimpft auf die User:innen, die in allen „eXit“-Wellen in Scharen eher zu Bluesky statt zu Mastodon gewechselt sind — schließlich sei man ja so viel besser.
Dabei gibt es viele, sehr nachvollziehbare Gründe — es sei denn, man lebt (wie zu viele im Fediverse) in einer Bubble der selbstgerechten moralischen Überheblichkeit und verschließt die Augen vor der Realität. Die ganzen Design-Fehler des Fediverse werden da als Features verklärt und User, die anderer Meinung sind, als zu dumm oder bequem hergestellt. Über eigene Fehler nachdenken? Wozu? Schließlich macht man ja keine — man gehört zu den Guten und lässt das die anderen auch entsprechend wissen.
Es will im Fediverse keiner verstehen, dass die ganze Serverauswahl einschüchternd, kompliziert und/oder unbequem wirken kann. Man könne ja schließlich einfach auch den Server wieder wechseln. „Einfach“? Das ist so eine Sache. Das Fediverse krankt an der gleichen Sache, wie nahezu alle Open Source Projekte: Mangelnde Userfreundlichkeit / UX. Und es gibt massive Fehler in der Grundstruktur des Fediverse und in der Wahrnehmung vieler User:innen.
1. „Wir sind die Guten“
Die Idee der Dezentralität mag ja ganz nett sein, schließlich kann kein durchgeknallter Milliardär gleich ein ganzes Netzwerk kapern. Aber dafür ist man in der Hand zig einzelner (Hobby-)Admins, die nicht unbedingt weniger narzistisch sein können. Sie können von heute auf morgen einfach verschwinden, die Instanz abschalten ohne dass man irgendwas dagegen tun könnte und/oder seine Daten retten könnte. Bei Big Corp. ist ein Verschwinden von heute auf morgen schon mal unwahrscheinlicher als bei kleinen Fediverse-Instanzen. Und das neue Admins urplötzlich das Ruder übernehmen, Regeln ändern, eigene Agendas durchsetzen und massenweise andere Fediverse-Instanzen blocken oder deföderieren ist auch keine Fiktion, sondern genau das, was gerade bei photog.social passiert ist. Auch zu großen, bekannte Instanzen wurden einfach der Stecker gezogen und Stimmen der Kritik wurden nach dem Motto niedergebügelt „bist Du nicht für uns, bist Du gegen uns“. Selbstherrliche Zensur, aufdrücken eigener Moralvorstellungen, auscanceln — das ist nicht nur die Spezialität von X, das geht im Fediverse genau so.
Ach so, einfach dann die Instanz wechseln, wenn es einem nicht mehr passt? Schön wäre es, aber da sind wir gleich beim nächsten Problem …
2. „Instanzen-Wechseln ist ja so einfach“
Auf dem Papier mag das Wechseln von Instanzen vielleicht noch einfach sein, aber die Tücke liegt im Detail und zeigt einen gravierenden Fehler im Grundaufbau vom Fediverse: Wenn ein autokratischer Admin entschieden hat, dass Server X nicht mehr mit dem eigenen Server föderiert ist, kann man nicht mehr mit seinem Account und seinen Followern dorthin umziehen! Das ist schon mal Fehler Nummer eins. Wer jetzt sagt: „Dann exportiere doch einfach vorher Deine Listen und Follower“, der gelangt zu Fehler Nummer zwei. Ja, ich kann die Accounts, denen ich folge exportieren (und dann beim neuen Account importieren), sowie die Accounts, die ich blocke oder stummgeschaltet habe, aber ich kann nicht die Liste der Accounts exportieren, die mir folgen. Entscheidet sich also ein Admin, zu Servern die Verbindung zu unterbrechen, kann ich nur noch zu den Servern wechseln, die ihm genehm sind, wenn ich meine Follower mitnehmen will oder ich muss quasi ganz neu starten. Übrigens: Auch bei einem geglückten Wechsel bekommt man in gewisser Weise einen Neustart erzwungen: Mit seinen Postings kann man nämlich so oder so nicht umziehen. Warum? Weil ist so.
Meiner Meinung nach ist und bleibt Bluesky (mein Account ist hier zu finden) die beste Twitter/X-Alternative, auch wenn man sich natürlich nie sicher sein kann, wohin eine Reise geht. Nur wird sich dort nicht so sehr in die eigene Tasche gelogen wie im Fediverse. Trotzdem mache ich jetzt mit diesem Account bei Mastodon meinen letzten Versuch im Fediverse …
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Hi Erik,
Ich kann deine Kritik gut verstehen. Wenn sich ein Instanz-Admin plötzlich anders verhält, oder wechselt, kann sich für alle Accounts viel ändern. Es gibt jedoch viele Vereine, die Instanzen im Sinne der Unabhängigkeit etc. führen.
Das Schöne am Fediverse ist aber, dass sich jeder eine Instanz selbst hosten kann und somit vollkommen unabhängig irgendeiner Willkür ist. Natürlich ist das mit Aufwand verbunden, aber so ist das mit der Selbstbestimmung.
Das Unterscheidet das Fediverse von allem anderen. Ja, auch Bluesky, die sich die Föderation uwar auf die Fahne heften, aber in Wahrheit gibt es sie dort einfach nicht.
Bei den anderen Themen nin ich bei dir: Usability geht viel besser und Umzug ebenfalls.
LG Norbert
Ich halte die Geschichte vom „freien Fediverse“ allerdings für ein Märchen. Schau Dir mal exemplarisch nur diese eine(!) Blockliste eines Servers an, die hier verlinkt ist: https://ruhr.social/@rsx/112209209289653741 – sie ist intransparent, beliebig und von vorne bis hinten bevormundend und zensierend. Je mehr Mini-Napoleons es gibt, desto mehr wird dieses „freie Fediverse“ eben untergraben, da man am Ende dann eh nur noch auf einer handvoll genehmer Server sein kann.
Bevor jetzt Argumente von wegen Hass und Hetze kommen: Auch bei Bluesky kann man auf eigenem(!) Wunsch Moderier- und Blocklisten abonnieren. Man halt selbst die Wahl und wird nicht autokratisch vor vollendete Tatsachen gestellt. Ist dort alles besser? Nein, wie ich schrieb: Das perfekte Netzwerk gibt es nicht. Ich halte Bluesky jedoch trotz allem für besser und freier als das Fediverse. Auch der Wahnsinn bei Twitter kam nicht so plötzlich, wie er sich jetzt gerade bei photog-social abspielt – und vielleicht auch bei X anderen Servern, bei denen man es nur nicht so mitbekommt (siehe der Link).
Moin, Erik.
Eigentlich bräuchten wir ein oder mehrere Server in europäischen ÖR-Instanzen. Warum diese nicht auch über Rundfunkbeiträge finanzieren? Nur kämpft man dann gegen die fest installierten Lobbyisten von Meta und X und Google an, dieses durchzusetzen. Gehen würde es aber.
An sonsten, auch bei Mastodon, nur in anderer Richtung: Wenn ich nicht der Meinung der schreienden und dadurch eigentlich nur gefühlten Masse zustimme, bin ich mindestens scharf rechts abgebogen. Diskussionen werden mit Beleidigungen udn Beschimpfungen erstickt. Es gibt fast nur noch Sender, Empfangen wird allein durch einen Klick bestätigt, der eigentlich für die Tonne ist. Auch im Fediverse gibt es keine Auseinandersetzung. Der einzige Unterschied- dass dieses Fed stark links-linkslastig ist und X und Co stark rechts-rechtslastig. So lange wir nicht wieder lernen, zu debatieren, uns mit einem Thema auseinander zu setzen und den anderen zu respektieren in seiner Haltung, so lange wird eh kein Fediverse der Welt ein sozialeres Netztwerk sein wie die anderen.
Ich glaube eher daran, dass sich kleinere Anbieter und Medien vernetzen sollten und gebündelt ihre Anliegen, ihre Angebote nach vorne tragen sollten und damit weniger durch schreiende (oft ohne Argumente) Sender Energie aufbringen müssen und zeitgleich auch ihre Abhängigkeit von Google und Co verringern.
Ich bin mit einer Hamburger Partnerin in den Vorbereitungen eines Printmagazins, weil ich fest glaube, damit sichtbarer zu sein und nicht nach Sekunden im digitalen Mülleimer zu verschwinden.
Bei allem aber ist es schön, einige wenn auch wenige Perlen wie einen Erik Schlicksbier angetroffen zu haben.
ÖR-finanzierte Server halte ich für eine ziemlich schlechte Idee. Abgesehen davon, dass die privaten Rundfunkanbieter dagegen (höchstwahrscheinlich) vorgehen würden, wäre das Wasser auf die Mühlen von AfD & Co. Und es löst auch ein Grundproblem nicht: Das Abdriften von Servern, die von kleinen Möchtegern-Diktatoren übernommen worden sind. Die kappen dann nämlich einfach die Verbindungen zu den Servern, die nicht deren eigenen extremistischen Sichtweisen entsprechen und das Fediverse wird Stück für Stück fragmentierter und kleiner. Denn wie man sieht: Je weiter man sich von der Mitte entfernt, desto mehr entfernt man sich auch von der Diskursfähig- und -willigkeit und wird zum zensierenden Diktator. Nur die Motivation unterscheidet sich: Bei den Rechten zum vermeintlichen Wohl weniger und bei den Linken zum vermeintlichen Wohl aller. Mag eine Motivation mehr begrüßenswert als eine andere sein, so ist das Endergebnis genau so schädlich. Die Welt zerbricht immer mehr in Schwarz und Weiß, in ein „bist Du nicht für uns, bist Du gegen uns“. Und das Fediverse hat auch einen immer größer werdenden Anteil daran.
Das ist eben auch ein Grund, warum ich Bluesky schätze. Während X rechts abgedriftet ist, driftet Mastodon inzwischen zu weit nach links. Bluesky ist eher in der Mitte angesiedelt. Idioten findet man überall, aber bei Bluesky hat man das Filtern und Blocken wenigstens komplett in eigener Hand und es wird keine Meinung willkürlich gedrosselt. Die Geschichte vom „freien und unabhängigen Fediverse“ ist jedenfalls eine Legende.
Trotzdem wäre es da natürlich begrüßenswert, wenn sich mehr unabhängige und überparteiliche Betreiber von Servern finden würden, die ein tatsächlich freies Netz mit eigener Wahlfreiheit bieten und durch eine unabhängige Finanzierung eine nachhaltigen Betrieb garantieren und durch Satzung plötzliche Übernahmen und komplette Regeländerungen unterbinden würden. Wenn es genügend solcher Anbieter geben würde, dann wäre es auch gut verkraftbar (bis hin zu wünschenswert), wenn extremistische Server sich deföderieren würden. Nur eben staatliche Stellen oder ein verpflichtender Medienbieter sind da keine geeigneten Betreiber.
Ich bin auf jeden Fall gespannt auf Dein Print-Projekt. Ich war bei den „Gedanken zur Fotografie“ (https://www.schlicksbier.com/gedanken-zur-fotografie-zine) jedenfalls erstaunt, wie häufig tatsächlich zur gedruckten Ausgabe gegriffen wurde, obgleich es das Zine auch zum kostenlosen Download gibt. Print ist definitiv nicht tot, es muss halt nur seine Nische finden und einen ordentlichen Gegenwert bieten. Viele Fotomagazine, die in der letzten Zeit von der Bildfläche verschwanden, mangelte es z.B. am letzteren Punkt …
Es gibt eine ÖR-Mastodon-Instanz: det.social – ein kleines Projekt vom ZDF, promotet von Jan Böhmermann.
Gute Punkte.
War auch völlig verblüfft, als ich gelesene habe, dass photog die Verbindung zu social.tchncs.de gekappt hat.
Sie verfahren nach dem bewährten Ansatz aller verbohrter Ideologen: „Bist Du nicht für mich, bist Du gegen mich“. Manchmal hat man das Gefühl, dass es den ideologischen Extremisten nur um das Stummschalten und Schleifen der noch ausgewogen denkenden Mitte geht. Alles muss sich in Schwarz oder Weiß unterteilen lassen …
Irgendwie ist mir Dein Artikel im Kopf herumgegangen.
Hat dann dazu geführt, dass ich jetzt eine eigene sog. „Single User Instanz“ habe.
Technik / Hosting etc. wird von einer Firma gemacht, Admin und einziger User auf der Instanz bin ich. Gibts z. B. bei Weingärtner IT ab 36 Euro / Jahr.
Mal sehen, wie gut das funktioniert. Wobei ich keine Ahnung habe, ob das auch für die Nutzung mit vielen Fotos taugt.
Wobei ich auf meiner bisherigen Instanz social.tchncs.de seit Jahren sehr zufrieden bin bzw. jetzt war 😉