Für welche Brennweite man brennt
In der ersten Ausgabe der „Gedanken zur Fotografie“ habe ich bereits von dem Vergnügen gesprochen, wenn man in geneigten Foren oder Facebook-Gruppen nach Objektiv-Empfehlungen fragt. Man bekommt stets mehr verschiedene Objektive genannt als Personen antworten. Genau so wenig zielführend ist es, nach der Brennweite für dieses oder jenes zu fragen. Auch wenn einem viele Blogs immer wieder einreden wollen, dass man „diese Brennweite für Portraits“ haben müsse, oder sie gar „die einzige Brennweite“ sei, die man bräuchte, dann macht man den entsprechenden Browser-Tab möglichst schnell wieder zu.
Natürlich ist es richtig, dass es bestimmte Brennweiten gibt, die sich besonders gut für bestimmte Arten der Fotografie eignen. Für meine Betrachtungen hier möchte ich mich vor allem auf den Portrait-Bereich beschränken und alle Millimeter-Werte, die ich nennen werde, beziehen sich immer auf das 35mm-Format. Für APS-C, MFT oder Mittelformat gelten dann die entsprechenden Crop-Faktoren.
Der unangefochtene Klassiker im Portraitbereich ist das 85mm-Objektiv, aber allgemein hat sich der Bereich von 85-135mm für Headshots und 50-85mm für mehr Körper besonders etabliert. Nur bedeutet das natürlich nicht, dass man mit Brennweiten unter 50mm und über 135mm nicht auch sehr gute Portraits schießen kann. Nur sollte man sich dann damit befassen, was die Brennweiten mit dem Bild überhaupt machen.

Chantal, Nortorf 2022. Brennweite: 85mm
Um eine Sache erstmal aus dem Weg zu räumen: Zoom-Objektive sind nicht dazu da, dass man einfach an Ort und Stelle stehenbleiben und sich dann das Subjekt oder Objekt bequem näher oder weiter ins Bild holen kann. Für die reine Abstandsänderung sind die Füße da — nicht die Brennweite. Bevor ein Aufschrei durch die Reihen geht: Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Es gibt manchmal Situationen, in denen man nicht näher rankommen kann oder sollte (bei Wildlife beispielsweise). Wir sind und bleiben bei diesen Betrachtungen allerdings im Portraitbereich.
Nein, die Wahl des Objektivs sollte einzig und allein unter Gestaltungsgesichtspunkten erfolgen. Mit der Wahl der Brennweite bestimme ich den Bildwinkel und wie der Raum in der Tiefe in der Regel wirkt. Allerdings: Der Raum ändert sich in Wirklichkeit in der Tiefenwirkung nicht — wir tendieren nur dazu, uns je nach Brennweite anders zum Aufnahmesubjekt / -objekt zu positionieren. Das heißt, wenn wir mit dem Wechsel der Brennweiten die Person immer gleich groß im Bild halten, indem wir uns näher zu ihr hin oder weiter von ihr weg bewegen, dann ändert sich sehr wohl die räumliche Tiefe. Wenn wir aber nur die Brennweite wechseln, am gleichen Ort stehen bleiben und die Person im Bild selbst eine unterschiedliche Größe einnehmen lassen, dann können wir, wenn wir uns in das Bild hineinzoomen, sehen, dass die räumliche Tiefe immer gleich bleibt. Dieses YouTube-Video zeigt das ganz eindrücklich.

Weitwinkel-Aufnahme eines Hobby Caravans
Aber durch die Kombination von der Entfernung zum Aufnahmeobjekt zusammen mit der gewählten Brennweite kann ich so natürlich schon die räumliche Tiefe besonders flach oder tief wirken lassen und den seitlichen Raum besonders weit oder eng. Dies wird gerne bei Actionsequenzen im Film eingesetzt, wo der Held sich dann in Wirklichkeit viel weiter von der gefährlichen Situation entfernt befindet, als es im Bild den Eindruck macht. Als bildliche Beispiele im Portraitbereich mögen hier die Weitwinkel-Aufnahmen eines Wohnwagens, die ich jedes Jahr farbbearbeite, und das Portrait einer jungen Frau in ihren Zimmer dienen. Bei dem Wohnwagen hat man fast das Gefühl, dass man noch sein Auto mit in den Wohnbereich nehmen könnte und bei der Frau denkt man auch nicht gleich daran, dass der Ort einfach ein kleines Schlafzimmer mit einem normalen Altbaufenster war.

Signe, Kiel 2013. Brennweite: 18mm
In der anderen Richtung kann ich im Tele-Bereich den Raum entsprechend konzentrieren und komprimieren. Die Säulenreihe im Bildbeispiel kommt nur im Telebereich so eng gestaffelt herüber. Je kleiner die Brennweite wird, desto mehr habe ich störende Elemente links und rechts im Bild und der Abstand zwischen den Säulen wird zu groß, als dass sie eine schöne visuelle Einheit bilden.

Lotte Marleen, Kiel 2023. Brennweite: 200mm
Das häufig auftretende Missverständnis, dass sich der Raum in der Tiefe bei den verschiedenen Brennweiten tatsächlich ändert, dürfte von den recht bekannten Vergleichs-Videos oder -Bildserien stammen, die zeigen sollen, wie sich die Brennweite auf die Physiognomie des Gesichts auswirkt. Die große Knollennase im Weitwinkelbereich und das sich immer weiter verflachende Gesicht im großen Telebereich. Nur wird da die Person immer gleich groß im Bild gehalten und deswegen ändert sich die räumliche Tiefe. Übrigens sagt dieser Test genau deswegen auch nichts über die absolute Eignung eines Objektivs im Portraitbereich aus. Es kommt nicht auf das Objektiv alleine sondern auf die Positionierung der Person in Abhängigkeit zum Objektiv an. Wie man beim Portrait der jungen Frau am Fenster sehen konnte, sind ihre Proportionen normal, obwohl es eine Weitwinkelaufnahme ist. Das ist sowohl ihrer Entfernung zur Kamera als auch ihrer Positionierung im Bild geschuldet. Erst wenn ich mich mit einem Weitwinkel entsprechend nah heran begebe, bekomme ich diese Größenverzeichnung, die ich aber auch als absichtliches Stilmittel einsetzen kann. Der amerikanische Fotograf Platon arbeitet beispielsweise besonders häufig auf diese Art und Weise und mein Portrait der Surferin ist eine Hommage an diesen Stil.

Johanna, Kiel 2018. Brennweite: 24mm
Da man bei klassischen Portraits oft im Kopfportrait-Bereich ist, wird dann üblicherweise zu Brennweiten gegriffen, die in dem Bereich gut abbilden ohne die Gesichtsform negativ zu beeinflussen — und das ist der Bereich von 75-135mm. Dass das 50mm-Objektiv am meisten anzutreffen ist, dürfte daran liegen, dass es in gewisser Weise eine eierlegende Wollmilchsau ist, gilt sie doch als die Normalbrennweite, da sie ungefähr ungefähr den Bildwinkel unserer Augen hat. Man kann damit ganz wunderbar Ganzkörperportraits oder Portraits mit genug Umgebung drumherum machen, es geht auch für Landschaft und selbst Kopfportraits lassen sich damit anfertigen. Allerdings merkt man bei nahen Portraits schon recht deutlich, dass längere Brennweiten noch mal schmeichelhafter wären.

Lisa-Marie, Kiel 2021. Brennweite: 50mm
Vom Grundsatz her kann man also mit jeder Brennweite Portraits anfertigen und wenn man wirklich nur ein Objektiv kaufen wollen würde, dann wäre ein 50mm Objektiv in der Tat eines der geeignetsten Kandidaten. Aber: Wenn man eine abwechslungsreiche Bildsprache haben und für verschiedenste Situationen vorbereitet sein will, dann kommt man an mehreren Objektiven nicht drumherum.
Zu was man dann genau greift, ist immer eine Frage des individuellen Stils und ob man auch in Brennweiten investieren möchte, die man vielleicht nur wenige Male im Jahr einsetzt. Ich persönlich würde als Allround-Portrait-Ausrüstung zu drei lichtstarken Festbrennweiten (35, 50 und 85mm) raten und es nach unten (12-24mm) und oben (70-200mm) mit zwei Zoom-Objektiven abrunden. Im Telebereich bekommt man auch mit f2.8 genug Freistellung und im extremen Weitwinkelbereich wird man sowieso kaum Tiefenunschärfe erzeugen können. Von dieser Basis aus kann man sich noch für bestimmte Bildlooks und -wirkungen weiter spezialisieren, wie beispielsweise mit Weichzeichner-Objektiven oder „Altglas“, das durch seine häufig anzutreffenden Abbildungsfehler besonders viel Charakter ins Bild bringt.
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